Placebo
Und sie wirken doch …
Autor: JÜRG LENDENMANN
Wir haben heilende Kräfte. Die Placeboforschung hilft mit, zu entschlüsseln, wie sie geweckt werden können.
In klinischen Doppelblindstudien erhält ein Teil der Patientinnen und Patienten Medikamente, die keinen Wirkstoff enthalten: sogenannte Placebos. Weder Arzt und Ärztin noch Patient und Patientin wissen, ob das verabreichte Medikament einen Wirkstoff enthält oder nicht. Scheinmedikamente können bei einem Teil der Versuchspersonen die gleiche Wirkung hervorrufen wie echte Arzneimittel. Placeboeffekte können sogar dann auftreten, wenn die Patientinnen und Patienten wissen, dass sie ein Placebo erhalten.
Mehr als nur Pillen
Placeboeffekte lassen sich nicht nur mit Scheinmedikamenten erzielen, sondern auch mit Berührungen, Gerüchen, Bildern, Worten … kurz: mit Verhaltensweisen und Ritualen, die Erwartungen wecken. «Sinnliche und soziale Stimuli (Anreize) sind für die Patientinnen und Patienten ein Zeichen, dass eine Behandlung im Gange ist und die erwünschten Wirkungen bald eintreten könnten. Solche Stimuli können sein: die Einnahme eines Medikaments, ein chirurgischer Eingriff, Akupunktur, medizinische Geräte, Psychotherapie, aber auch Schamanismus», erklärte einer der Pioniere der Placeboforschung, Prof. Fabrizio Benedetti, an einem Symposium des Instituts für komplementäre und integrative Medizin der Universität Zürich.
Placebos wirken in der Regel schwächer und kürzer als Medikamente. Das Geschlecht spielt bei der Wirkung von Placebos ebenfalls eine Rolle, wie eine Studie von Tübinger Forschenden zeigte: Frauen lassen sich bei Versuchen eher von ihren Erfahrungen leiten, Männer sind empfänglicher für Suggestionen. Ein Teil der Patientinnen und Patienten reagierte in den Versuchen überhaupt nicht auf Placebos. Dies deutet darauf hin, dass die Persönlichkeit ein Schlüssel zum Verständnis von Placeboeffekten ist.
Die Macht der Erwartungen
«Wenn man Patientinnen und Patienten eine Tasse Kaffee gibt und sagt, sie enthalte Koffein, kann das Getränk sowohl psychologische als auch physiologische Reaktionen auslösen – obwohl es kein Koffein enthält», sagte Prof. Paul Dieppe. Beides habe weitreichende Konsequenzen für die klinische Arbeit. «Was sagen wir den Patientinnen und Patienten über das, was sie erwartet? Eine Erwartung ist ein Glaube, dass etwas in der Zukunft wahrscheinlich eintreten wird.» Ein starker Glaube etwa an den guten Ausgang einer Hüft- oder Knieoperation sei mit besseren Behandlungsergebnissen verbunden. Die Bestätigung positiver Erwartungen sei noch wirkungsvoller als Einfühlungsvermögen. Doch wie wirken die Placebos im Körper?
«Placebos können das Schmerzempfinden
über die gleichen biochemischen
Wege beeinflussen, wie es Arzneimittel tun.»
Lernen, was hilft
Der Placeboeffekt bei Schmerzen wird schon lange erforscht. «Heute weiss man, dass Placebos ebenso wie Nocebos (siehe Kasten) die Schmerzwahrnehmung über die gleichen biochemischen Wege beeinflussen wie Medikamente», sagt Benedetti. «Die Art und Weise, wie Placebos Stoffwechselwege modulieren, kennen wir heute auch von vielen anderen Krankheiten wie Migräne oder Parkinson.» Wie jemand auf ein Placebo reagiert, hängt oft von früheren Erfahrungen mit Substanzen ab, die die gewünschte Wirkung haben. Dieses «Lernen» nennt man Konditionierung.
Placebo wirken auf die Gene
Eine Erklärung, wie Placebos in den Stoffwechsel eingreifen können, stammt vom Neurowissenschaftler und Chiropraktiker Dr. Joe Dispenza. Überzeugungen, Wahrnehmungen und die Art der Interaktion mit der Aussenwelt beeinflussen die Innenwelt, schreibt er. Diese wiederum ist die äussere Umgebung der Zelle: ihr Milieu. Durch Milieueinflüsse können Gene verändert, an- und abgeschaltet werden, wie die junge Wissenschaft der Epigenetik gezeigt hat.
Gesundheitsfördernde Veränderungen der Gene können durch positive Emotionen ausgelöst werden, die Stress abbauen; dies haben Forschungen gezeigt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Mind Body Medicine, die auch schon als «angewandter Placeboeffekt» bezeichnet wurde. Zu ihren Methoden gehören Yoga, wiederholtes Beten und Meditation. Durch Meditation, schreibt Dispenza, könne der analytische Verstand zum Schweigen gebracht werden. Dadurch werde es möglich, den eigenen Seinszustand zu verändern. Dann könne der menschliche Körper, der sein eigener, bester Apotheker sei, sich selbst die besten und erfolgreichsten Rezepte verschreiben.
Nocebo – das negative Placebo
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